Wie gehen wir vor? Ist es dazu erforderlich, unser Zusammenleben komplett - quasi von null weg – neu zu erfinden? Oder gibt es Vorbilder, an denen wir uns orientieren können? Und kann uns eventuell das Wissen über die Lebensweise von matriarchalen Gesellschaften bei unserem Vorhaben Unterstützung geben?
Wir leben in unserer westlichen Gesellschaft auf eine Art und Weise, in der es scheinbar kein Weiterkommen mehr gibt. Es ist so, als ob wir feststecken in dem, was wir tun und wie wir es tun. Und immer mehr Menschen stellen fest: So kann es nicht mehr weitergehen! Doch wie kommen wir raus aus dieser Sackgasse?
Ich möchte euch gerne in diesem Artikel von einer Lebensweise von Menschen berichten, die heute - hier und jetzt - auf unserer Erde leben und wo wir sagen können, dass dies Gesellschaften in Balance sind. Menschen – Frauen, Männer, Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Alte – die in einer völlig anderen Form und mit völlig anderen Wertevorstellungen, als wir sie in unserer westlichen Zivilisation kennen, zusammenleben.
Diese Gesellschaften in Balance sind matriarchale Gesellschaften da sie ihr Leben und Zusammensein auf mütterlichen Werten aufbauen.
Mütterlichkeit meint dabei die Beschreibung der menschlichen Qualität – und zwar für Menschen jeglichen Geschlechts – sich um das Lebensnotwendige zu kümmern: Pflegen, Nähren, Fürsorge, Friedenssicherung und Ausgleich, die für alle Mitglieder der Gemeinschaft in gleichem Maß gelten. Sie stillen damit die menschlichen Grundbedürfnisse nach Beschütztwerden und Versorgtsein, nach Liebe und Anerkennung.
Leider werden Matriarchate oft fälschlicherweise mit »Mütterherrschaft« übersetzt. Doch weit gefehlt! Matriarchate zeichnen sich durch die Abwesenheit von Herrschaft aus. Sie sind Gesellschaften, in denen alle Geschlechter und Generationen im Gleichgewicht, in Balance leben.
Dabei betrachten sich die verschiedenen Menschen nicht als gleich, sondern respektieren die natürlichen Unterschiede und sehen diese als wertvolle, gegenseitige Ergänzungen. Darum kann man auch sagen, dass matriarchale Gesellschaften egalitäre Gesellschaften sind, bei denen sich alle auf Augenhöhe und in tiefem Respekt begegnen und sich als gleichwertig begreifen.
Und die beste Nachricht ist, 😊 matriarchale Gesellschaften sind keine Utopien, sondern auch heute noch gibt es etwa 20 bis 25 indigene Gemeinschaften auf dieser Erde, wie etwa die Minangkabau in Indonesien, die Irokesen in Nordamerika, die Berber und Tuareg in Nordafrika, die Mosuo in Südchina oder die Juchiteken in Mexiko.
Sehr gerne möchte ich euch die Lebensweise dieser Menschen anhand der Forschungsergebnisse von Frau Dr. Heide Göttner-Abendroth vorstellen. Sie gilt als die Begründerin der modernen Matriarchatsforschung und hat ihr Leben der Erforschung dieser Ethnien gewidmet. Und sie hat diese Gemeinschaften auf vier Ebenen – Ökonomie, Sozialordnung, Politik und Kultur – beschrieben, denen ich auch hier gerne in diesem Artikel folge:
„Wer hat der gibt“ – Ökonomie des Schenkens!
Matriarchale Gesellschaften versorgen sich mit allem, was sie zum Leben benötigen, aus eigenem Garten- und Ackerbau kombiniert mit allen möglichen anderen Tätigkeitsbereichen wie Handel und handwerkliche Produktion. Dabei wirtschaften sie regional und unabhängig von irgendwelchen Konzernen oder Verwicklungen nach außen. Das macht sie extrem stark und autark, da sie in keiner Weise abhängig von Lohnarbeit oder marktwirtschaftlichen Schwankungen sind. Diese Wirtschaftsweise nennt man auch Subsistenzwirtschaft.
Ziel ist das gute Leben und das Leben in der Gemeinschaft, statt der Fiktion „je mehr umso besser“ und statt „number one“ auf Kosten der anderen werden zu wollen.
Sehr interessant ist, dass Frauen die wichtigsten Lebensgüter wie Lebensmittel und verarbeitete Güter in Händen haben und verantwortlich für die gerechte Verteilung zwischen den Mitgliedern sind. Dabei besitzen die Frauen diese Güter nicht, sondern sie sind Hüterinnen und Verwalterinnen dieser Güter und haben nur Verteilungsrecht.
Das Prinzip des Hortens gibt es nicht, sondern das Prinzip des Schenkens und des Zirkulierens in der Gemeinschaft. Sie folgen dem Ideal „Wer hat, der gibt.“ Und dieses Ideal praktizieren sie voller Lebensfreude in den unzählbaren Festen, die sie miteinander feiern. Deshalb können matriarchale Gesellschaften als ökonomische Ausgleichsgesellschaften gesehen werden.
„Ein Liebster kann kommen und gehen, meinen Bruder aber habe ich für immer.“
Matriarchale Menschen leben in ihrem Clanhaus in „großen Familien“ zusammen, die nach dem Prinzip der Matrilinearität - der Verwandtschaft nach der Mutterlinie - aufgebaut sind. Ein solcher Matri-Clan besteht aus mindestens drei Generationen: der Clanmutter, die im Zentrum steht und höchste Achtung genießt, mit ihren Schwestern und Brüdern, allen Töchtern und Söhnen, Enkeln und Enkelinnen. Im allgemeinen verlassen weder die Töchter noch die Söhne das mütterliche Clanhaus.
Die Liebesgeschichten finden dabei zwischen den verschiedenen Clans statt. So kommen die Männer über Nacht zu ihrer Liebsten und am Morgen verlassen sie sie wieder in Richtung des eigenen mütterlichen Clanhauses. Manche Beziehungen halten ein ganzes Leben, andere sind eher von kürzerer Dauer.
Für uns westliche Menschen schwer verständlich ist die Tatsache, dass die Liebesbeziehungen zwischen Mann und Frau nicht die tragende Säule der Gesellschaft sind, sondern dass das familiäre Netz des matrilinearen Clans den Menschen Stabilität und Sicherheit gibt. Verstärkt wird dieses Netz noch durch das hilfreiche Zusammenwirken mehrerer Clans das die gesamte Gesellschaft trägt und aus dem keiner herausfällt.
Dadurch besteht sexuelle Freiheit für beide Geschlechter. Denn die Kinder aus den Liebesbeziehungen sind immer gut aufgehoben im Clan, im Mutterhaus. Sie haben dadurch immer dieselben Bezugspersonen um sich, egal, wie das Liebesleben der jungen Frauen und Männer verläuft. Biologische Väter in unserem Sinne haben für sie weniger Bedeutung, denn die Vaterrolle üben die Brüder der jungen Frau aus. Der Mutterbruder betrachtet seine Nichten und Neffen als „seine Kinder“, für die er zärtliche Fürsorglichkeit und erzieherische Mitverantwortung übernimmt, die er beschützt und an die er sein Wissen weitergibt und so erfüllt ein Onkel in der heimischen Sippe keine geringere Rolle als die des „sozialen Vaters“.
Auch bei den Frauen sind nicht alle leibliche Mütter und doch kann jede ihre mütterliche Fürsorge den Kindern ihrer Schwestern und Cousinen schenken.
„Wie mit EINER Stimme sprechen.“
Matriarchale Gesellschaften treffen alle Entscheidungen mittels Konsens.
Das heißt, die Menschen, die ja familiär verbunden sind, entscheiden in und für die Region, in der sie leben, für sich, für ihren Lebensbereich und ihre Umgebungsbedingungen auf Basis ihrer gemeinsamen Geschichte und gleichen Wertvorstellungen.
Konsens entsteht immer in einem Kreis, in dem jeder Mensch eine gleichwertige Stimme hat und unersetzlich ist. Hat jemand eine andere Meinung, so hören alle genau zu und sind dankbar für jeden neuen Gedanken. Dieser ist wichtig und alle wollen diesen Aspekt hören und verstehen, denn sie wollen nichts übersehen. Zeit spielt keine Rolle. Jede Entscheidung wird für 7 Generationen getroffen und bedarf der Zustimmung aller.
Die Beratung beginnt immer in den Clanhäusern, wo die Menschen leben. Betrifft eine Entscheidung ein größeres Gebiet, so wird über gewählte Delegierte die Meinung der Clanhäuser weitergetragen und in Räten auf Dorfebene oder regionaler Ebene beraten. Dort fallen jedoch keine Entscheidungen, sondern die Ergebnisse der Gespräche werden wieder bis zum Clanhaus zurückgebracht und dort letztendlich entschieden.
Diese Vorgehensweise kann man als echte Basisdemokratie bezeichnen. Sind sich zuletzt alle einig, dann handelte eine solche Gesellschaft höchst koordiniert – wie eine einzige Person.
„Alles ist mit allem verbunden.“
Auf spiritueller Ebene sind matriarchale Gesellschaften sakrale Gesellschaften. Es ist ihnen buchstäblich alles heilig, denn sie leben in dem Bewusstsein, dass alles mit allem verbunden ist.
Sie haben eine weibliche Vorstellung des Göttlichen und verehren das Universum und die Erde als große Mutter, die allumfassend und allschöpferisch ist. Aus ihr kommt alles hervor, in ihr lebt alles, alles ist Teil von ihr und zu ihr geht auch alles wieder zurück. Sie verstehen das Dasein als einen Kreislauf von Geburt, Leben, Tod und Wiedergeburt.
Matriarchale Menschen nehmen sich selbst als Teil eines größeren Ganzen wahr und sie sehen alle Lebewesen in den Kreis der Geschwister eingeschlossen. Und so fühlen sie sich nicht nur verbunden mit der gesamten Erde, der Natur, sondern darüber hinaus verbunden mit dem ganzen Kosmos. Vom weitest entfernten Stern bis zum kleinsten Grashalm ist alles mit allem verbunden.
Diese Sichtweise auf das Leben hebt jegliche Spaltung auf und hat weitreichende Folgen im Handeln dieser Menschen. Da alles wechselseitig aufeinander einwirkt, ist große Achtsamkeit nötig.
Und genau diese Achtsamkeit mit uns selbst, mit unseren Mitmenschen und mit der Natur gilt es wieder zu entdecken und zu leben, damit wir auf den Weg zu einem Miteinander in Balance finden.
- Wie können wir uns auf den Weg machen?
- Was können wir davon heute umsetzen? Wo fangen wir an?
- Welche Veränderungen kommen auf uns zu?
- Was ist zu tun, um wieder zu diesen lebensfreundlichen Strukturen und Lebensbetrachtungen zurückzufinden und sie dann für uns neu zu beleben?
- Wo gibt es in unserer Gesellschaft schon Ansätze in dieser Richtung?
Wir freuen uns auf eure Botschaften, Gedanken und Inspirationen unter info@matriforum.com
Und es gibt noch eine gute Nachricht 😊: Die Forschungen der Archäologin Marija Gimbutas bestätigen, dass es auch hier bei uns bis vor etwa 5.000 Jahren ein Europa gegeben hat, in dem die Menschen friedlich miteinander gelebt haben. Wir können also gewiss sein, dass auch unsere Ahninnen und Ahnen matriarchale Menschen gewesen sind und dass dieses Erbe wieder in uns lebendig werden kann. Lassen wir die Erinnerung daran in uns erwachen und ergründen wir, was es heißt Mensch zu sein und wieder zu einem Miteinander in Balance zu finden.
Denn es ist die Weisheit der gegenseitigen Fürsorge und Achtsamkeit, die unsere Gesellschaft so dringend benötigt, um in der Zukunft überleben zu können.
Wir freuen uns darauf!