Ich habe als Coach beruflich viel mit Frauen zu tun und mir fällt immer wieder auf, dass Frauen, die in Partnerschaften nicht verheiratet sind, deutlich besser für sich sorgen und damit langfristig meist auch deutlich besser versorgt sind als verheiratete Frauen.
Vor diesem Hintergrund frage ich mich oft, wozu Paare denn heute eigentlich noch heiraten.
Wenn ich an meine eigenen Erfahrungen zurückdenke, kann ich mich sehr gut daran erinnern, dass mir der Heiratsantrag meines Mannes das Gefühl von 100%igem Commitment gab, das Gefühl, wirklich gewollt und geliebt zu sein und vor allem ein Gefühl von Sicherheit.
Traum und Realität
Wie wir alle wissen, hat das leider nicht viel mit der Realität zu tun: die Hälfte aller Ehen wird geschieden und die verbleibenden 50% sind nicht zwangsweise glücklich.
Ich habe oft mit Ehepartner:innen zu tun, die seit Jahren keinen Sex mehr hatten, sich nicht mehr vertrauen und/oder lieben und bestenfalls nebeneinander her leben.
Eine Ehe ist keine Sicherheit für dauerhafte Liebe und Zusammengehörigkeit. Und auch die finanzielle Sicherheit, die man gefühlt mit einer Eheschließung eingeht und die viele Frauen überhaupt erst bewegt, Kinder zu bekommen, erweist sich spätestens bei der Scheidung als Illusion: Frauen, die mit den Kindern zu Hause geblieben sind, stehen nach einer Scheidung oft mit wenig Geld, einer abgebrochenen Karriere, schlechten Wiedereinstiegschancen und wenig bis gar keinem Unterhalt da.
Die Pseudosicherheit einer Ehe hat oft dramatische Konsequenzen.
Gab es die Ehe nicht schon immer?
Trotzdem lieben wir scheinbar die Ehe. Jeder zweite Film endet vor dem Traualtar, in zahlreichen Filmen wird die ewige und einzige Liebe verherrlicht und die Hochzeit ist ja bekanntermaßen der schönste Tag im Leben einer Frau?
Wenn wir den Blick in die Vergangenheit wagen, werden wir diesbezüglich schnell ernüchtert. Tausende von Jahren mussten Frauen heiraten, um versorgt zu sein. Soziale Anerkennung und Teilhabe an der Gesellschaft waren nur über den Status der Ehe möglich.
Die Ehe hatte also mit Sicherheit, wenn nicht gar mit Überleben zu tun - mit Liebe wohl kaum. Zurück geht das Prinzip der (für die Frau) monogamen Ehe auf die Anfänge des Patriarchats in Babylon, auf den Herrscher Hammurabi, der ca. 1750 v. Chr. per Dekret die Ehe einführte. Es ist also ein relativ neues, von einem männlichen Herrscher eingeführtes Modell und hat nichts mit unserer Grundsozialisierung als Menschen zu tun.
Sinn dieses Dekretes war die Zuordnung der Frau zu einem Mann und damit die Unterordnung der Frau, um die bis dahin üblichen Clans aufzulösen und Männern die Kontrolle über die Nachfahren zu ermöglichen.
Die Zuordnung von Kindern zu Männern ist nur möglich, wenn ein Mann der einzige Sexualpartner einer Frau ist, und genau das wurde damals per Gesetz festgelegt.
Vom schönsten Tag im Leben kann da also wohl keine Rede sein. Vielleicht war ein großes Fest und ein schönes Kleid (in dem frau natürlich dem Mann gefallen sollte) ein kleiner Trost für den Verlust der eigenen Familie und die Zuordnung zu einem Fremden.
Die Verschleierung der Frau hat ihren Ursprung nicht in der Religion.
Gleichzeitig bestimmte das Gesetz übrigens, dass nur verheiratete Frauen sich verschleiern „durften“ und unverheiratete Frauen und Sklavinnen „mussten“ unverschleiert bleiben. Dadurch trennte Hammurabi die weibliche Gesellschaft in zwei Kategorien und eine nicht enden wollende Zeit der Separierung und der Unterdrückung der Frau begann.
Vielleicht hat die heutige Ehe nicht mehr viel damit zu tun, könnte man denken? Aber ehrlich gesagt ist es in zu vielen Teilen der Welt heute immer noch so, dass Frauen mit der Eheschließung in den Besitz des Mannes übergehen, als dass ich mir vorstellen könnte, dass das nicht auch noch bei uns nachwirkt. Allein die schreckliche Geschichte der Ehe sollte Grund dafür sein, dass der Staat sich aus privaten Liebesbeziehungen raushält.
Der Staat und die Ehe - eine Liebesbeziehung?
Und heute? Ich frage mich oft, warum unsere konservativen Parteien die Institution Ehe schützen, sogar mit Steuererleichterungen für die bloße Eheschließung. Wenn man die Familie als großen Wert ansähe und diese schützen wollte, könnte man ebenso die Ursprungsfamilie als besonders schützenswert einstufen – und in deren Zentrum muss nicht zwangsweise ein verheiratetes Paar stehen.
Aber das Konzept der Kleinfamilie hat Vorteile für unseren Staat! Wenn ein Mann eine Frau heiratet und sie versorgt, damit sie sich um die Kinder kümmern kann und später dann vielleicht noch Pflegeleistung für die Eltern erbringt, ist der Staat finanziell aus dem Schneider. Die gesellschaftliche Leistung der Kindererziehung und der Pflege wird ja dadurch kostenlos – natürlich auf Kosten des Ehepaares und dann eben oft doch meist auf Kosten der Frau.
Erziehung und Pflege sind eine unglaubliche soziale und gesellschaftliche Leistung - und trotzdem meist unbezahlt.
Ich finde die soziale und gesellschaftliche Leistung, die erbracht wird durch Kindererziehung und Pflege enorm! Und leider völlig unbeachtet.
Wieso ist es weniger wert, ein Kind zu erziehen als bei einer Bank hinter dem Schalter zu stehen? Wäre es nicht absurd von einem Mann zu verlangen, seine Frau mitzufinanzieren und sie arbeitet dafür kostenlos im Supermarkt? Was ist der Unterschied? Wieso ist das eine etwas wert und das andere gar nichts.
Das momentane System führt meiner Meinung zu einer kompletten Überforderung einer Zweierbeziehung. Sie soll finanziell, sexuell, partnerschaftlich, wirtschaftlich und auch noch in der Erziehung funktionieren und unser Staat basiert auf dieser Zweierbeziehung. Die Versorgungslast, die zumeist beim Mann liegt sowie die drohende Abhängigkeit bis hin zur (Alters)Armut der Frau ist dabei natürlich Privatangelegenheit.
Wie würde es aussehen, wenn Erziehung und die Pflege von Angehörigen den gleichen Stellenwert hätte wie andere Arbeit?
Wenn die Liebesbeziehung nicht mehr staatlich geregelt wäre?
Wenn wir eine Trennung zwischen wirtschaftlicher Versorgung und Partnerschaft, zwischen Sexualität und Elternschaft hätten?
Wenn Familien gestärkt werden würden, egal wie sie aussehen?
Zeit für neue Konzepte? Wie frei dürfen wir denken?
Ich könnte mir eine 100%ige Lohnfortzahlung durch den Staat für jedes Kind vorstellen mit vollen Rentenleistungen. Gesellschaftliche Anerkennung für Mütter, steuerliche Erleichterungen für Menschen, die bereit sind Kinder zu erziehen, egal in welcher Form oder Konstellation oder die anderen wichtigen Aufgaben nachkommen. Billiger ist es natürlich für den Staat, wenn der Mann arbeitet und die Frau zu Hause bleibt.
Ich denke es ist an der Zeit, dass wir neue Konzepte statt der Ehe entwickeln. Konzepte, die Wertschätzung ermöglichen, wirtschaftliche Unabhängigkeit auch für Eltern und Pflegende und freiwillige, selbstgestaltete Beziehungen und Lebenswege. Und ich hoffe, wir sind mutig genug dazu.
Inspirationen und Quellen: Die Ehe – Seitensprung der Geschichte, Marie-Luise Schwarz-Schilling, Geschichte matriarchaler Gesellschaften und Entstehung des Patriarchats, Dr. Heide Göttner-Abendroth
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