Erste Schritte aus dem Patriarchat
Immer wieder werden wir bei MatriForum gefragt, was wir konkret tun können, um patriarchale Strukturen aufzulösen und eine egalitärere Gesellschaft zu entwickeln. Ich finde, die Antwort ist im Grunde einfach. Auch wenn es viele Schritte braucht, ist meiner Meinung nach das Wichtigste, starke Frauen-Communities aufzubauen – Gemeinschaften, in denen Frauen miteinander kooperieren und sich aufeinander verlassen können. Warum?
Frauen allein im Patriarchat
Seit vielen Jahren begleite ich Frauen in ihrer persönlichen Entwicklung, unterstütze sie im Coaching und helfe ihnen dabei, ein erfüllteres, selbstbestimmteres Leben zu führen. Dabei wird mir immer klarer, wie tiefgreifend der Einfluss des Patriarchats auf unser Denken, Fühlen und Handeln ist. Wir alle – auch wir Frauen – sind in einer Gesellschaft sozialisiert worden, die männliche Perspektiven in den Mittelpunkt stellt. Viele unserer Herausforderungen wurzeln genau hier.
Ein Aspekt, der im Patriarchat besonders auffällt, ist die systematische Vereinzelung von Frauen. Das Wort Patriarchat bedeutet „Herrschaft der Väter“ – und jede Form von Herrschaft funktioniert besser, wenn sie Spaltung erzeugt. Denn wer isoliert ist, ist leichter zu kontrollieren. Schon früh wurden weibliche Bündnisse gezielt unterdrückt, weil sie eine Bedrohung für die patriarchale Ordnung darstellten. Diese jahrhundertealte, vielleicht sogar jahrtausendealte Spaltung wirkt bis heute fort.
Überleben ohne Mann – schwierig im Patriarchat
Über viele Generationen hinweg konnten Frauen nur überleben, wenn sie einem Mann „gehörten“. Das hat Konkurrenzdenken unter Frauen verstärkt – besonders im Ringen um männliche Anerkennung oder Versorgung. Diese Dynamik ist tief in uns verankert, selbst wenn wir sie heute bewusst ablehnen. Unsere Konditionierungen wirken oft unbewusst – und genau deshalb so kraftvoll.
Es ist mir ein Herzensanliegen, Frauen wieder miteinander zu verbinden. Vertrauen aufzubauen. Gemeinsam hinzusehen, wo wir stehen, was uns trennt – und was uns verbindet. Denn nur wenn wir erkennen, wie sehr wir eigentlich im selben Boot sitzen und uns zusammentun, können wir das Patriarchat überwinden und ein neues Miteinander gestalten.
Fünf Impulse, wie du deine patriarchale Sozialisierung hinterfragen und weibliche Gemeinschaft stärken kannst:
1. Vergleiche dich nicht mit anderen Frauen
Du kennst das bestimmt: Du siehst eine andere Frau – und zack, beginnst dich zu vergleichen. Sie hat schönere Haare, eine schlankere Figur, ist erfolgreicher im Job … Doch diese Vergleiche führen fast immer dazu, dass du dich kleiner fühlst. Beim nächsten Mal, wenn du dich beim Vergleichen ertappst, halte kurz inne und frage dich: Würde ich wirklich komplett mit ihr tauschen wollen? Wahrscheinlich nicht – denn auch sie hat ihre eigenen Herausforderungen, Unsicherheiten und Sorgen. Vielleicht sieht sie ihre vermeintlichen „Vorteile“ selbst gar nicht und ist ebenso kritisch mit sich. Statt dich kleiner zu fühlen, dreh den Spieß um: Mach ihr ein ehrliches Kompliment. Beobachte, was das mit ihr – und mit dir – macht. Wir sind uns wohl einig, dass jede Frau im Patriarchat Stärkung brauchen kann. Also: Warte nicht auf Bestätigung durch Männer – sei selbst die Veränderung. 😊
2. Werte andere Frauen nicht ab
Frauen gibt es in allen Formen, Farben und Persönlichkeiten: groß, klein, laut, leise, kurvig, dünn, blond, brünett – und jede ist auf ihre Weise einzigartig. Es macht dich nicht größer, wenn du andere kleiner machst.
Ich meide bewusst Medienformate, in denen Frauen ständig bewertet und verurteilt werden – als zu dick, zu dünn, zu frech, zu still oder „zu irgendwas“. Ganze Branchen, Verlage und TV-Formate leben vom Frauen-Bashing. Solche Urteile vergiften unser Selbstbild und unser Miteinander. Stattdessen: Übe dich darin, das Besondere in jeder Frau zu erkennen. Es gelingt nicht immer auf Anhieb, aber mit der Zeit wirst du merken, wie sehr es dein eigenes Denken verändert. Unsere gegenseitige Kritik stärkt letztlich nur die Vereinzelung – und damit das Patriarchat.
3. Im Zweifel für die Frau
Das klingt vielleicht ungewohnt – weil wir es anders gelernt haben. Tatsächlich wird Frauen oft reflexartig die Schuld zugeschoben. Als ich mich von meinem Mann trennte, hörte ich Sätze wie: „Kein Wunder, du bist ja so unabhängig – das halten Männer nicht aus.“ Andere Frauen hören: „Kein Wunder, dass er gegangen ist – sie war halt zu langweilig.“ Immer wieder dieses „zu“ …
Fakt ist: Die meisten Trennungen werden bewusst von Frauen initiiert – und trotzdem werden sie oft als die Verlassenen und Schuldigen dargestellt, und meist wird ihnen die alleinige Verantwortung zugeschoben. Achte bewusst darauf, wenn du selbst zu urteilen beginnst. Und dann: Verbinde dich gedanklich mit der Frau. Frag dich, was sie gerade durchmacht. So entsteht Mitgefühl statt Urteil – und Verbundenheit statt Distanz.
4. Kooperiere bewusst mit anderen Frauen
Gerade in beruflichen Kontexten erleben wir es leider oft: Frauen, die es „nach oben“ geschafft haben, öffnen selten Türen für andere Frauen. Auch auf politischer Ebene hat sich daran lange wenig geändert – 16 Jahre Angela Merkel haben kaum strukturelle Verbesserungen für Frauen gebracht.
Doch jede von uns kann etwas bewegen. Kooperiere bewusst mit anderen Frauen: Unterstütze sie, teile Wissen, Ressourcen und Netzwerke. Gleichstellung entsteht nicht von allein – und sie wird uns nicht geschenkt. Wir müssen sie gemeinsam gestalten.
5. Gründe selbst Frauengruppe
Warte nicht darauf, dass sich irgendwo eine passende Gruppe bildet – nimm es selbst in die Hand. Es braucht keine perfekte Struktur, kein großes Konzept. Lade einfach ein paar Frauen ein, die du schätzt oder mit denen du dich verbunden fühlst – und schafft euch gemeinsam einen Raum für Austausch, Unterstützung und Wachstum.
Ob als regelmäßiger Gesprächskreis, als Spaziergangsgruppe, Online-Treffen oder kreatives Projekt: Wenn Frauen zusammenkommen, entsteht Kraft. Ihr könnt Erfahrungen teilen, euch gegenseitig ermutigen, voneinander lernen – ohne Bewertung, ohne Konkurrenz.
Gerade in einer Welt, in der
Individualismus oft über Gemeinschaft gestellt wird, ist das ein kleiner Akt
des Widerstands – und ein großer Schritt hin zu mehr weiblicher Solidarität.
Du musst keine Expertin sein. Du musst nur anfangen.
Es mögen kleine Schritte erscheinen – doch sie sind meiner Meinung nach essentiell.
Ohne eine starke Frauengemeinschaft, in der auch wir Frauen gemeinsam Verantwortung übernehmen, wird es keine egalitäre Gesellschaft geben.